Wehrmacht und Normung
Von M. Klein, Berlin-Hermsdorf
 

Die Wehrmacht ist im Deutschen Reich zurzeit der größte Verbraucher industrieller Erzeugnisse. Dadurch finden außer den Dinormen auch die Normen der Wehrmachtteile eine breite Anwendung. Die nachstehenden Ausführungen gewähren einen Einblick in die Normungsarbeit der Wehrmachtteile und sollen dem Benutzer dieser Normen Zweck und Ziel der Arbeiten näherbringen.
 
Geschichtliches
In den letzten Jahren des ersten Weltkrieges schuf die Oberste Heeresleitung eine Normenstelle im Fabrikationsbüro Spandau, in der die Normung, die bis dahin nur einige Firmen für ihre Werkbedürfnisse betrieben, einheitlich ausgerichtet wurde. Diese Zusammenfassung war notwendig, um die Waffen- und Munitionsbeschaffung zu fördern. Die zentral geleiteten Normungsarbeiten wurden später vom Normenausschuß der deutschen Industrie, dem jetzigen Deutschen Normenausschuß, weitergeführt.
Die im Weltkriege gewonnenen Erfahrungen waren für die Reichswehr richtunggebend. Man war sich bewußt, daß die Normen eine unentbehrliche Grundlage für die künftige Entwicklung und Beschaffung der Geräte sind. Für die Normungsarbeit lag jedoch lediglich ein eng begrenztes Tätigkeitsfeld vor, denn das Versailler Diktat beschränkte nicht nur die Stärke des Heeres auf 100 000 Mann, sondern ließ auch nur eine geringe Zahl von Firmen für die Gerätfertigung zu. Die Normungsarbeiten für das Heergerät wurden einige Jahre nach dem Weltkriege von der damaligen Inspektion für Waffen und Gerät aufgenommen und bald darauf dem Heereswaffenamt übertragen, zu dessen Aufgabenbereich sie bis heute gehören.
Sehr früh setzte die Erstlingsarbeit der Kriegsmarine auf dem Normungsgebiete ein, denn schon einige Jahre vor 1900 begann die Kaiserliche Marine Bauelemente für den Kriegsschiffbau zu normen. Nach außen hin traten diese Arbeiten kaum in Erscheinung, bis sie dann im Weltkriege eine erhebliche Förderung erfuhren. In der Nachkriegszeit entstand der Kriegsmarine-Normenausschuß, der die Normen für den schiffbaulichen Teil der Marine bearbeitet. Das Marinewaffenamt begann die Normung auf seinem Gebiete einige Zeit nach den ersten normtechnischen Arbeiten für das Heergerät.
Als nach Wiedererlangung der Wehrhoheit die Luftwaffe entstand, wurde im Konstruktionsamt des Reichsluftfahrtministeriums gleichzeitig auch eine Normenstelle eingerichtet.
Zur Kennzeichnung des Ursprungs erhielten die von den Wehrmachtteilen herausgegebenen Normen die Kurzzeichen HgN (Heergerätnormen), LgN (Luftfahrtgerätnormen), MWaN (Marinewaffennormen) und KM (Kriegsmarinenormen).
 
Normungsaufgaben
Den Grundstock für die Vereinheitlichung der Geräte bildeten die Dinormen, neben denen aber noch viele andere einschlägige Normen notwendig waren. Über die Normungsaufgaben, die hieraus entstanden sind, wird nachstehend ein Überblick gegeben.
 

Zeichnungen, Darstellung, Maßeintragung
Für die zeichnerische Darstellung und die Bemaßung der Zeichnungen galten und gelten auch heute noch fast in jeder Firma eigene zusätzliche Richtlinien neben den Dinormen. Die Heergerätzeichnungen würden also ganz verschieden ausgefallen sein, wenn ihre Anfertigung dem Ermessen der Firmen überlassen geblieben wäre. Einheitliche Zeichnungen erforderten die Ausgabe von Normen mit den entsprechenden Richtlinien. Die oft gestellte Frage, warum die Wehrmacht Zeichnungsnormen schaffen müsse, ließ darauf schließen, daß die Angelegenheit nur vom Standpunkt einer Firma oder eines Konzerns aus betrachtet wurde. Für die Gerätzeichnungen mußte jedoch das berücksichtigt werden, was inzwischen eingetreten ist, nämlich, daß die Zeichnungen im Kriegsfalle nicht nur an eine Firma oder einige gleichgerichtete Werke ausgegeben werden, sondern an viele Betriebe, sogar an einen großen Teil der gesamten gewerblichen Wirtschaft. Auch kleine und kleinste Werkstätten werden zur Fertigung herangezogen. Ferner muß eine große Zahl von Abnehmern nach diesen Zeichnungen arbeiten. Von allen diesen Stellen wird verlangt, daß sie die in den Gerätzeichnungen zum Ausdruck gebrachte Sprache des Konstrukteurs richtig verstehen, damit einheitliche, brauchbare Geräte gefertigt werden. Weitgehende Vereinheitlichung der Zeichnungen ist eine unerläßliche Voraussetzung hierfür. Eigenarten der zeichnerischen Darstellung oder Angaben, die nur eine Firma oder ein gewisser Kreis kennt, sind in diesem Falle nicht statthaft.
Die Zeichenarbeit wird erleichtert, wenn für Darstellungen, die sich oft wiederholen (z. B. Schweißnähte) Sinnbilder angewandt werden. Werkstätten, die diese Sinnbilder noch nicht kennen, müssen sich jedoch erst die entsprechenden Normblätter zur Übersetzung beschaffen. Durch irrtümliche Auslegung der Zeichen können aber auch Fehlfertigungen entstehen. Nach dem Grundsatz, daß die Gerätzeichnungen für jeden Benutzer ohne weiteres verständlich sein sollen, erhält die Zeichnung eine Erläuterung der angewandten Sinnbilder. Für die Schweißsinnbilder ist dies auf der Heergerätnorm HgN 106 31 vorgeschrieben. Den im Zeichnungsblatt enthaltenen Passungskurzzeichen werden die entsprechenden zahlenmäßigen Toleranzen in einer kleinen Tafel gegenübergestellt. Das bedeutet für Werkstätten, die mit einstellbaren Lehren arbeiten, eine wesentliche Erleichterung. Oberflächenbehandlungen werden durch voll ausgeschriebene Wörter bezeichnet; Zahlen oder Kurzbezeichnungen, die bei vielen Firmen dafür üblich sind, können aus den obengenannten Gründen keine Anwendung finden.
Die DIN-Zeichnungsnormen behandeln fast nur die zeichnerische Darstellung, d. h. also die Anordnung der Ansichten und Schnitte, Maßeintragung u. dgl. Alle diese Normen sind bei den Gerätzeichnungen angewendet. Auf diesem Gebiete waren jedoch noch einige Lücken vorhanden, die geschlossen werden mußten, um das Anfertigen der Zeichnungen nicht zu behindern. In solchen Fällen ließ sich die Ausgabe eigener Normen nicht umgehen. So fehlte z. B. ein Zeichen für die Mittenabweichung zentrisch liegender Formen. Da im Zeichnungsausschuß keine einheitliche Regelung zustande kam, legte die Wehrmacht ein Zeichen dafür auf HgN 106 06 fest. Dies Normblatt enthält auch die Regeln für das Eintragen zahlenmäßiger Toleranzen. In DIN 406 sind die verschiedenen Schreibweisen aufgezählt worden, ohne einer Art den Vorzug zu geben. Obgleich der Ausfall des Istmaßes am Werkstück in keiner Weise von der Toleranzschreibweise beeinflußt wird, konnte die Eintragung in Gerätzeichnungen nicht jeweils dem Konstrukteur überlassen bleiben. Das zu prüfende Maß gehört mit zur Beschriftung der Arbeits- und Abnahmelehren, und die Wiederverwendung einer Lehre für das gleiche Grenzmaß an einem anderen Werkstück wird für die Arbeitsvorbereitung sowie den Lehrenbenutzer wesentlich erleichtert, wenn die Toleranzen einheitlich geschrieben werden. Aus den Möglichkeiten, die in DIN 406 enthalten sind, wurde die Schreibweise   ausgewählt. Dabei wird also das Gutmaß eingetragen, bei dem das Werkstück nach Wegnahme von Werkstoff (am Werkstück) noch innerhalb der Toleranz liegt. Hinzugefügt wird einem Innenmaß das positive und einem Außenmaß das negative Abmaß. Der Arbeiter erkennt aus dieser Schreibweise sofort, ohne rechnen zu müssen, das Gutmaß, er wird also entlastet und spart Zeit. Auf gleiche Nennmaße für die zusammengehörigen Teile ist bewußt verzichtet worden. Für die Herstellung ist die Übereinstimmung nicht nötig, weil die Teile nach ihren Teilzeichnungen an verschiedenen, räumlich — vielleicht sogar örtlich — getrennten Stellen gefertigt werden. Dem Konstrukteur, der gelegentlich an Hand beider Teilzeichnungen die Passung zu überprüfen hat, bleibt die Schreibweise gleichgültig.
Die beschriebene einheitliche Eintragung der Toleranzen ist bei allen Gerätzeichnungen üblich. In den Zeichnungen des Schiff- und Schiffsmaschinenbaues der Kriegsmarine werden jedoch die Toleranzen in Anlehnung an den Handelsschiffbau so eingetragen, daß die zusammengehörigen Teile gleiche Nennmaße haben.
Von den an der Gerätentwicklung beteiligten Firmen wurden die Zeichnungen für Stirn-, Kegel- und Schneckenräder den Gebräuchen der Werkstätten entsprechend verschieden bemaßt. Dabei trat nicht selten der Fall ein, daß ein Werk keinesfalls auf ein Maß verzichten wollte, das eine andere Firma für nebensächlich« hielt. Unter solchen Umständen konnten keine einheitlichen Gerätzeichnungen entstehen. Das NormblattB DIN 869, Zahnräder, Richtlinien für die Bestellung von« Stirnrädern und Kegelrädern, strebt bereits die Vereinheitlichung der Maße an. Darin wird aber unterschieden« zwischen den Maßen, die eingetragen werden müssen, und I denen, die noch zusätzlich angegeben werden dürfen. Da| auch diese Regelung die einheitliche Ausführung der! Zeichnungen nicht verbürgt, wurden auf HgN 10610 bis 106 12 die Maße festgelegt, die zur Herstellung der Räder l ausreichen. Wer glaubt, auf weitere in seinem Betriebe sonst übliche Angaben nicht verzichten zu können, darf seine Vermerke auf die Pausen setzen, die ihm zur Fertigung der Geräte zur Verfügung gestellt werden.
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Die Dinormen über die zeichnerische Darstellung allein genügen nicht, um Ordnung im Zeichnungswesen zu schaffen. Hierzu müssen auch die Zeichnungsätze einheitlich aufgeteilt werden. Ohne eine solche Vereinheitlichung lassen sich so große Mengen von Zeichnungen, wie sie infolge der zahlreichen Geräte anfallen, von den Wehrmachtteilen nicht verwalten. Weiter ist der einheitliche Aufbau für die Firmen unerläßlich, nicht allein wegen der besseren Verwaltung , sondern hauptsächlich, um die Fertigung zu erleichtern.
Dinormen über den Aufbau der Zeichnungsätze sind bis heute noch nicht vorhanden. Das Heer, bei dem damals die Forderungen nach einheitlichen Zeichnungsätzen zuerst auftraten, mußte also hierfür eigene Normen schaffen. So entstanden die HgN-Blätter für das Schriftfeld, die Unterteilung der Geräte in Gruppen, Untergruppen und Teile, die Nummerung sowie die von den Zeichnungen getrennten Gruppen- und Stücklisten. Das Schriftfeld und die Stückliste nach DIN 28 ließen sich nicht verwenden, weil sie keinen ausreichenden Platz für die notwendigen Eintragungen boten.
Die Aufteilung in Teilzeichnungen und die von den Zeichnungen getrennten Stücklisten tragen dem bei vielen Firmen schon längst eingeführten wirtschaftlich gesteuerten Arbeitsablauf Rechnung, der zur Leistungsteigerung unerläßlich ist. Im Laufe der Zeit sind mehr und mehr Firmen dazu übergegangen, ihr Zeichnungswesen der wirtschaftlichen Betriebsführung anzupassen. Dabei hat manches Werk das von der Wehrmacht genormte und praktisch erprobte System als Vorlage benutzt. Mit der früher üblichen Darstellungsweise von vielen Teilen auf einem Blatt und der Stückliste auf der Gesamtzeichnung wäre niemals eine Großserien- oder Massenfertigung möglich gewesen, wie sie die Aufrüstung erforderte. ...

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Quelle: VDI Zeitschrift Bd. 86, Nr. 9/10 , v. 7.4.1942



 

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