Eine der wirtschaftlichen Säulen des Bochumer Vereins war die Produktion von Rüstungsgütern, hauptsächlich Geschütze und Geschützteile. Insofern hier ein Statement von Otto Johannsen bezüglich Hinterladergeschütze von 1942

 

27. August 1942     Umschau  Patentbericht   aus der  Stahl und Eisen   S.  737

 Hundert Jahre Hinterladegeschütze.
Nach den Ausführungen von Th. Jakobsson 1) war die Entwicklung des Geschützwesens vor hundert Jahren an einem kritischen Punkte angelangt. Denn das Geschütz war an Treffsicherheit, Schußweite und Feuergeschwindigkeit dem von Dreyse verbesserten Handgewehr nicht mehr gewachsen, zumal die Heere seit der Französischen Revolution nicht mehr in geschlossenen Schlachthaufen kämpften. Man mußte auch beim Geschütz zum Hinterladesystem übergehen. Schon im Mittelalter hatte man Hinterladegeschütze verwendet, und diese Bauart war niemals in Vergessenheit geraten, doch erst vor hundert Jahren wurde dieses Geschütz in der schwedischen Geschützgießerei in Äker, deren Besitzer damals Martin von Wahrendorff war, so verbessert, daß es den glatten Vorderlader verdrängte.
Der Großvater des Martin von Wahrendorff war 1760 aus seiner mecklenburgischen Heimat über Lübeck als mittelloser junger Mann nach Schweden ausgewandert und hatte sich dort mit solchem Erfolge als Kaufmann betätigt, daß er 1772 die alte j Geschützgießerei bekannte Eisenhütte in Äker ankaufen konnte. Seine Söhne wurden 1805 in Schweden geadelt und in den österreichischen Freiherrnstand erhoben. Sein Enkel Martin von Wahrendorff (1789—1861) wurde Diplomat, er war u. a. schwedischer Geschäftsträger in London, Oberzeremonienmeister und Hofmarschall. Zur Beschäftigung mit der damals viel erörterten Frage des Hinterladegeschützes wurde er 1837 durch einen Aufenthalt in Petersburg angeregt, wo ein englischer Offizier solche Versuche machte. Wahrendorff wendete zuerst mangelhafte Geschützverschlüsse an, die nicht besser waren als die früher benutzten. Auch seine Bestrebungen wären gescheitert, wenn nicht sein Werkmeister Anders Moberg, ein guter Techniker, die Aufgabe durch Anwendung eines federnden Ringes gelöst hätte, der durch den Gasdruck fest gegen die Wandung der Geschützkammer gepreßt wird. Wie man erzählt, war Mobergs Verschluß so dicht, daß Wahrendorff bei einem fürstlichen Besuche im Jahre 1840 sein feines weißes Taschentuch in den Verschluß legen und es nach dem Schuß ohne Pulverspuren herausnehmen konnte.
Wahrendorff ließ sich das von Mobergs Nachfolger Malmgren verbesserte Geschütz in vielen Staaten patentieren. Auch schuf er für die schweren Geschütze seiner Bauart eine gußeiserne Lafette.
Während sich die schwedischen Artilleristen dem neuen Geschütz gegenüber ziemlich ablehnend verhielten, da es ihnen zu verwickelt erschien, fand dieses im Ausland starke Beachtung, es wurde in Preußen, Österreich und Rußland eingeführt. Der damalige piemontesische Artilleriekapitän, spätere italienische Generalleutnant Giovanni Cavalli schlug dann dem Baron Wahrendorff vor, bei seinen Geschützen gezogene Seelen anzuwenden. Auch dieser Vorschlag war an sich nicht neu, er lag umso näher, als Dreyse damals das gezogene Hinterladegewehr geschaffen hatte. Wahrendorff griff die Anregung mit Eifer auf. Innerhalb von Monatsfrist erstand in Äker eine einfache Ziehmaschine, mit der ein Vierundzwanzigpfünder (Kaliber 15 cm) von 20 Kalibern Länge mit zwei Zügen versehen wurde. Das Probeschießen fand am 27. und 28. April 1846 statt. Dabei wurden gußeiserne Spitzgeschosse mit angegossenen Flügeln benutzt, die sich in die Züge legten. Die Versuche ergaben die Überlegenheit des gezogenen Hinterladers und der Spitzgeschosse besonders in folgenden Punkten:
1.)   Die Schußweite war wesentlich größer als bei Rundkugeln.   Während die 11,9 kg schwere Rundkugel bei 3,4 kg  Pulverladung und 1° Rohrerhöhung im Mittel 1841 m weit flog, betrug die Reichweite des Spitzgeschosses von 17% kg Gewicht
bei gleicher Ladung und Erhöhung im Mittel 2588 m.
2.)    Die Streuung war wesentlich geringer, folglich die Treffsicherheit größer.
3.)    Man konnte aus demselben Geschütz schwerere Geschosse schießen.
4.)    Möglichkeit der Verwendung von Geschossen mit Aufschlagzünder, da die Langgeschosse mit der Spitze aufschlugen.

Die angegossenen Flügel wurden später von Malmgren durch einen Bleiumguß ersetzt.
Wahrendorffs Verdienst, durch seinen Weitblick und seinen Unternehmungsmut das gezogene Hinterladegeschütz in das Geschützwesen eingeführt und damit die neuzeitliche Artillerie geschaffen zu haben, wird nicht dadurch geschmälert, daß dieser Gedanke damals sozusagen in der Luft lag. Denn nur der Erfinder, der etwas Zeitgemäßes schafft, kann Erfolge erzielen. Kein günstiges Licht wirft auf Wahrendorff sein Zerwürfnis mit seinem Werkmeister Moberg, dem er es zu verdanken hatte, daß seine Versuche nicht ebenso erfolglos endeten wie diejenigen seiner vielen Vorläufer. Es hätte Wahrendorff wohl nicht schwerfallen können, diesen verdienten Mitarbeiter zufriedenzustellen.
Otto Johannsen

1) Jakobsson, Th.: Kring en dansk rapport frän är 1846 rörande de första försöksskjutningarna med räfflade „wahren-dorffska" bakladdningskanoner. Vaabenhistoriske Aarboger 3 (1942) S. 260/92.

 

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