Einen kleinen Eindruck über den Bochumer Verein erhält man durch die Sichtweise aus dem Jahr 1942  - deshalb hier ein Auszug aus VDI vom 26.12.1942, Bd. 86 Seite 768 

100 Jahre Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation
 
In der Geschichte der deutschen Industrialisierung im 19. Jahrhundert sind deutlich einige tiefe Einschnitte zu erkennen, so der Abschluß des Deutschen Zollvereins 1833, die Gründung des Deutschen Reichs 1871 und Bismarcks Übergang vom Freihandel zum Schutzzoll 1879. Der durch viele Innenzollschranken in zahlreiche kleine und kleinste Wirtschaftsgebilde zerrissene und auch politisch uneinheitliche Deutsche Bund war nicht in der Lage, der im Laufe von etwa zwei Generationen entstandenen englischen Maschinenindustrie etwas Gleichartiges entgegenzustellen. Englische Kraft- und Arbeitsmaschinen fanden in alten Kulturstaaten Eingang und dehnten die „industrielle Revolution" auch über das europäische Festland aus. Auch in der Eisengewinnung war England damals voraus.
Der Deutsche Zollverein war die erste wirtschaftliche Grundlage für die Schaffung einer eigenen starken deutschen Industrie; das Aufkommen der Eisenbahn schuf die verkehrsmäßige Voraussetzung für deren Wachsen. Die Eisenbahn brauchte Lokomotiven, Dampfkessel, Wagen und vieles andere. An den verschiedensten Orten entstanden Maschinenfabriken, die viel Eisen brauchten. Die größten Eisenmengen benötigte man jedoch für die Schienen. So entstand in Deutschland ein vorher ungeahnter Eisenbedarf, der zunächst im Inland nicht gedeckt werden konnte.
Darauf fußend erlebte die deutsche Eisenindustrie in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihren ersten großen Aufschwung. Im Ruhrgebiet, wo bis dahin an bedeutenderen Werken nur Krupp und die Gutehoffnungshütte bestanden, entwickelte sich eine breit gelagerte Eisen- und Stahlindustrie, zumeist in Form von Aktiengesellschaften. In dieser für die Geschichte der westdeutschen Eisenindustrie bedeutsamsten Gründerperiode entstand auch der Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation in der heute noch bestehenden Form als Aktiengesellschaft, die am 23. Juni 1854 die königliche Genehmigung erhielt.
Die Anfänge des Unternehmens liegen allerdings zwölf Jahre zurück. Schon am 6. Dezember 1842, also vor hundert Jahren, schloß der Schwabe Jacob Mayer, der in England die Methoden der Stahlgewinnung studiert und in Köln eine Stahlschmelze errichtet hatte, mit dem Magdeburger Kaufmann Eduard Kühne einen Vertrag über die Errichtung einer Gußstahlfabrik in Bochum ab. Schon im nächsten Jahr wurde mit dem Bau der Fabrik begonnen. Hier wurde von Mayer unabhängig von Krupp, der schon früher ein ähnliches Verfahren ausgebildet hatte, hochwertiger Gußstahl im Tiegel hergestellt. Mancherlei Schwierigkeiten waren dabei zu überwinden, die nicht nur in der geeigneten Zusammensetzung der Schmelze und in der Gießtechnik, sondern auch in der Herstellung haltbarer Tiegel lagen. Mayers technischem Können gelang es schon nach wenigen Jahren, den Vorsprung, den Krupp hatte, einzuholen und ebenso große Gußstücke herzustellen. Für die bergisch-märkische Kleineisenindustrie und für viele andere Gewerbe lieferte Mayer Gußstahl in verschiedensten Qualitäten; dabei hatte er immer das Ziel vor Augen, „das schwere preußische Geld, welches das ernste Großbritannien noch jährlich von unseren Küsten dafür hinwegführt", im Lande zu behalten. Unabhängig von Essen und im gleichen Jahr wie Krupp empfahl Mayer dem Preußischen Kriegsministerium, seinen Gußstahl für Kanonen zu verwenden, was aber nicht zur Ausführung kam.
Um 1850 gelang Mayer als erstem nach langen Versuchen die Erfindung des Stahlformgusses, ein Verfahren, bei dem der im Tiegel erzeugte Stahl in einer Form unmittelbar zu den gewünschten Gebilden gegossen wird. Auf der Düsseldorfer Ausstellung des Jahres 1852 erregte eine Gußstahlglocke Aufsehen, auf der Pariser Weltausstellung 1853 errang der Stahlformguß seine erste internationale Anerkennung. Die von Mayer erkannte Möglichkeit, den Stahlformguß auch für Eisenbahnräder zu verwenden, brachte der Firma, die zunächst Radreifen, dann ganze Räder herstellte, große Aufträge der Eisenbahnverwaltungen.
Während die technischen Leistungen der Firma von Anfang an hochwertig waren, hatte das Unternehmen mehr als ein Jahrzehnt mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, die schließlich zur Umwandlung in eine Aktiengesellschaft führten. Neben den genialen Techniker Mayer trat ein bedeutender Kaufmann, Louis Baare. Das Werk, das 1845 mit 70 Arbeitern eine Erzeugung von 200 t und 1853 mit 200 Mann eine solche von 8501 erzielte, nahm nach der Umwandlung in die neue Geschäftsform und nach Überwindung der Wirtschaftskrise von 1857 an dem allgemeinen Aufschwung der Eisenindustrie teil und erzeugte 1875 schon über 60 000 t- bei einem Arbeiterstand von etwa 4300 Mann. Die technische Voraussetzung für diesen Aufstieg bildete die Übernahme des 1856 von Bessemer erfundenen neuen Verfahrens durch die führenden deutschen Stahlwerke; 1863 übernahm es auch der Bochumer Verein. Damit stieg die Stahlerzeugung sehr schnell an, was eine erhebliche Vergrößerung aller Verarbeitungsanlagen herbeiführte. Das nur für phosphorarme Erze geeignete Bessemerverfahren wurde Ende der siebziger Jahre durch das Thomasverfahren zurückgedrängt, das für die deutschen Hütten von besonderer Bedeutung wurde, weil es die Verhüttung der lothringischen und luxemburgischen Erze ermöglichte. 1880 wurde der erste Thomasstahl beim Bochumer Verein hergestellt. Um von der Zufuhr von Roheisen unabhängig zu werden, war schon 1876 der erste Hochofen angeblasen worden; 1877 wurde die Siemens-Martin-Stahlerzeugung aufgenommen.
Infolge dieser und anderer technischen Neuerungen und Werkvergrößerungen hatten die Erzeugnisse des Bochumer Vereins um die Jahrhundertwende bereits in der ganzen Welt, auch in England und den britischen Kolonien, Eingang gefunden. Der Ausbau der deutschen Handels- und Kriegsflotte hatte auf die deutsche Eisenindustrie und im besonderen auf den Bochumer Verein stärksten Einfluß, da er bedeutende Aufträge brachte. Bis zum ersten Weltkrieg waren die Haupterzeugnisse des Unternehmens, das damals von Fritz Baare, dem Sohn Louis Baares, geführt wurde, Schienen, Schwellen, Räder, Radsätze, Weichen sowie schwere Konstruktionsteile für den Schiffbau und Schiffsmaschinenbau. Mit Kriegsausbruch fand der Bochumer Stahl ausgedehnte Verwendung für die Waffenerzeugung, vor allem für die Geschützherstellung. Die Nachkriegszeit brachte größte Aufgaben auf technischem Gebiet, sie brachte aber auch ein vorübergehendes Aufgeben der bisher stets hochgehaltenen wirtschaftlichen Unabhängigkeit. 1920 wurde der Bochumer Verein ein Teil der Rhein-Elbe Union und mit dieser 1926 ein Bestandteil der damals gegründeten Vereinigten Stahlwerke, dem größten Zusammenschluß der deutschen Schwerindustrie. Einschneidende Änderungen im Aufbau des Bochumer Vereins, der nun wieder reine Gußstahlfabrik wurde, waren die Folge dieses Zusammenschlusses. Unter der Führung Walter Borbets erlebte die Firma einen großzügigen Neu- und Umbau ihrer technischen Einrichtungen, der sie befähigte, am Aufschwung der deutschen Industrie seit 1933 stärksten aktiven Anteil zu nehmen. Seit 1. Januar 1934 ist der „Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation" im Rahmen der neugegliederten Vereinigten Stahlwerke, die nur Dachgesellschaft sind, wieder selbständig und arbeitet mit an den hohen Aufgaben, die Großdeutschland der Stahlindustrie stellt. N 7496A.Bihl

 

 

Aus  Stahl und Eisen 62. Jahrbuch 1942 Teil 2 Seite 1001


100 Jahre Bochumer Verein.
Ratternde Fahnen und feierliches Geläut der Werksglocken vom ehrwürdigen Glockenturm begrüßten am 6. Dezember 1942 die Festteilnehmer auf ihrem Weg durch das Spalier der Werksjugend zur Haupthalle der Radsatzwerkstätten, wo die Feierstunde zum 100jährigen Bestehen des Bochum er Vereins für Gußstahlfabrikation stattfand. Der Betriebsführer Dr. Walter Alberts konnte unter den Teilnehmern zahlreiche Gäste und Freunde, darunter hervorragende Vertreter der Reichsregierung und der Partei, Abgeordnete der Wehrmacht, der technisch wissenschaftlichen Fachvereine und der örtlichen Behörden herzlich willkommen heißen. Er umriß in seiner Festansprache den Werdegang des Unternehmens und unterstrich dabei vor allem die Taten der Männer Jakob Mayer, Louis und Fritz Baare und Walter Borbet, denen das Werk sein Werden und seine glanzvolle Entwicklung verdankt und von denen jeder zu seiner Zeit dem Werk den Stempel seiner Persönlichkeit aufgedrückt hat.
Als Vertreter des Aufsichtsrates der Vereinigten Stahlwerke führte Dr. Albert Vögler diese Gedankengänge sodann weiter und wies in seinen Ausführungen darauf hin, daß die Entwicklung des Werkes immer eng verbunden war mit dem politischen Geschehen. Als der Schwabe Jakob Mayer nach Preußen kam, waren gerade die Zollschranken gefallen, mit denen sich die deutschen Länder und Ländchen gegenseitig abgegrenzt hatten. Ein weitblickender Minister hatte den preußischen Bergbau von der staatlichen Bevormundung befreit, und so war der Boden vorbereitet, auf dem Jakob Mayer sein großes technisches Können entfalten konnte. Als Louis Baare auf diesem technischen Fundament das große Wirtschaftsgebilde des Bochumer Vereins errichtete, da mußte vorher der großen Deutschen einer, Bismarck, die politischen Schranken niederreißen. Und der letzte gewaltige Ausbau des Werkes in dem vergangenen Jahrzehnt unter Walter Borbet ist nicht denkbar ohne die Großtat des Führers. Der Bochumer Verein hat das große Glück gehabt, immer starke Persönlichkeiten an seiner Spitze zu sehen, Männer, die ein Menschenalter hindurch ihrem Werk und damit ihrem Lande dienten, Männer, die in den Sielen starben. Aber nicht nur der technische Fortschritt, auch ein anderes Wissen war hier im Bochumer Verein immer verankert, das Wissen, das der Altmeister unserer Wissenschaft Fritz Wüst auf die ganz klare Formel gebracht hat: Ohne tüchtige Arbeiter gibt's keinen guten Stahl. Jakob Mayer regierte in seiner Hütte wie ein Patriarch, streng und gerecht. Er war der Erzieher, aber auch der Freund seiner Arbeiter. Louis Baare hat am Tage des fünfzigjährig en Bestehens des Werkes die Jubilarfeier eingerichtet. In feierlichem Zuge, die Werksleitung voran, zogen die zu Ehrenden vom Werk zum Festraum. Und wie vor fünfzig Jahren, so geschieht es noch heute. Das Wort, das bei der ersten Jubilarfeier der Werkspoet sprach, hat ewig Gültigkeit:
Zwei Tugenden gibt es, die ewig wert, Daß man für sie die Palmen streue, Das ist, verkündet sei es laut, Das ist der Fleiß, das ist die Treue.
In politisch schwachen Gebilden ist kein Platz für technischen Fortschritt, kein Raum für eine starke Wirtschaft und kein Boden für Volkswohlfahrt. Das Geschick sei den deutschen Landen gnädig und erhalte ihnen den starken Führer.
Wie es sich bei einer Geburtstagsfeier geziemt, kam Albert Vögler nicht mit leeren Händen. Er machte eine Reihe von Stiftungen bekannt, die der Aufsichtsrat aus Anlaß des Jubiläums zugunsten der Gefolgschaft, der Unterstützungskasse des Werkes, des Roten Kreuzes, der NS.- Volkswohlfahrt und der Wissenschaft bewilligt hatte.
Betriebsobmann Honig brachte zum Schluß noch die Verbundenheit von Front und Heimat zum Ausdruck, und damit klang die Feier aus, die, von Musik und Gesangsvorträgen umrahmt, trotz ihrer Einfachheit und Schlichtheit den eindrucksvollen Willen erkennen ließ, den Führer und Gefolgschaft des Bochumer Vereins bekundeten, um dem deutschen Soldaten die Waffen zu schmieden. Hoffentlich ist der Zeitpunkt nicht mehr fern, an dem von dem alten Glockenturm die Glocken hell und jubelnd den deutschen Sieg einläuten.
 

Eisen-Stahl - 027
Bochum - altes Schreiben001

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