GESTALTUNG UND AUSFÜHRUNG DES BEHELFSHEIMES
Prof. Dr. l n g. Hans Spiegel, Berlin- Düsseldorf
 
Das Wohnungshilfswerk als eine der kriegsentscheidenden Kampfmaßnahmen
Seit der Verkündigung des totalen Krieges mußte auch das Gesicht des deutschen Wohnungsbaues sich grundsätzlich verändern. Der friedensmäßige Bau von Wohnungen nach dem Führererlaß vom 15. November 1940 wurde Anfang Januar 1943 mit einem entschlossenen Schnitt durch die laufenden Arbeiten des Reichswohnungskommissars und seiner Forschungsstelle, der Deutschen Akademie für Wohnungswesen, in Planung, Entwurf und Ausführung zurückgestellt bis nach dem Siege.
Die Deckung des Wohnungsbedarfs während des Krieges mußte durch einen in die wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten sich einfügenden Kriegswohnungsbau erfolgen. Noch im Frühjahr 1943 glaubte man, die Anforderungen des Krieges durch den Kriegseinheitstyp eines zweigeschossigen Barackenbaues mit Flachdach (Entwurf Professor Neufert) zu erfüllen, einem Vierspännertyp mit 4 Zweiraumwohnungen von rd. 30 m2 und mit 12 Dreiraumwohnungen von 42 bis 45 m2 Wohnfläche. Die Zusammenballung von 8 Familien um l Treppenhaus und die Gruppierung von Abort (Innenabort) und Kochnische an der Mittelwand brachte eine Herabsetzung des Werkstoffaufwandes und des Handwerkerarbeitsaufwandes. Trotzdem war der Werkstoff bedarf noch zu hoch; die Baufertigstellung wurde durch den Mangel an Facharbeitern unerträglich verzögert; die Massierung der Menschen in Vielfamilienbaracken erhöhte die Gefährdung der Bewohner und ihrer Habe bei Luftangriffen. Am 5. August 1943 entwickelte daher der Führer selbst aus einer klaren, rücksichtslosen Einstellung auf die Kriegsgegebenheiteri die politischen und die technischen Grundlagen für den Bau von Wohnunterkünften während des Krieges und schuf mit dem Erlaß vom 9. September 1943 das Deutsche Wohnungshilfswerk (DWH) und das Behelfsheim, ein eingeschossiges Heim, erbaut in Form einer Wohnlaube aus einem Hauptraum als Wohnraum,. Kochraum und Elternschlafraum, einer Kinderschlafkammer und einem freistehenden Abort und errichtet durch den Einsatz der Partei im Selbsthilfebau oder in Gemeinschaftshilfe oder Werkshilfe auf einem mindestens 200 m2 großen Gartengrundstück in luftgeschützter Umgebung.
Kriegsnotwendig sind für die Menschen der Heimat eine ausreichende Ernährung und eine warme Unterkunft.

Der Feind hat im Weltkrieg 1914/1918 durch die Hungerblockade unser Volk zum Erliegen gebracht. Heute hofft er durch den Luftterror und durch die Zerstörung der Wohnungen den Einsatzwillen und Widerstandswillen der Heimat zu zermürben und den Krieg zu gewinnen. Ihm entgegen steht die Wehrmacht. Die Bauwirtschaft aber stellt dem Luftterror die rasche Errichtung von Wohnunterkünften in großer Zahl als eine der kriegsentscheidenden Kampfmaßnahmen entgegen. Nur das, was heute im Wohnungsbau diese Kampfmaßnahme fördert, hat Berechtigung. Was ihr aber im Wege steht - und seien es noch so lieb gewonnene Grundsätze oder noch so schöne Gedanken des Friedens Wohnungsbaues oder noch so richtige Absichten eines friedensmäßigen Ressort- oder Fachdenkens was ihr hindernd oder verzögernd im Wege steht, ist jetzt in der Stunde einer letzten Entscheidung falsch, kann sogar Sabotage einer kriegsentscheidenden Maßnahme werden. Die Wohnungsfachleute, Architekten und Ingenieure, Wohnungswirtschaftler, Städtebauer und Hygieniker müssen sich dies klarmachen in voller Erkenntnis des Ernstes der Lage und der ihnen auferlegten Verantwortung.
Wir Architekten und Ingenieure sind von Haus aus Optimisten und glauben an das Gelingen unserer Arbeit, und mancher schafft Großes, weil er daran und selbst an das scheinbar Unmögliche glaubt. Wir haben aber Anschauungen und religiösen Glaubenssätzen ähnliche Grundsätze, für die wir fanatisch eintreten, und wir haben damit nicht immer der Sache gedient. Im Kriege sind diese Eigenschaften fehl am Platze, wenn sie den nüchternen Blick für die tatsächlichen Verhältnisse und die kriegsbedingten Notwendigkeiten trüben. Niederdrückend war es, gerade bei tüchtigen Kollegen feststellen zu müssen, wie sie versuchten, in ihrem Bereich oder Gau mit schönen Planungen an den Kriegsnotwendigkeiten vorbeizukommen, wie sie den harten Ernst der Baustofflage einfach nicht anerkennen wollten, wie sie, von der Werkstoffbeschaffung und dem Facharbeitereinsatz her gesehen, utopische Pläne immer wieder vorlegten, wie sie sich aus ihren Friedenswohnungsbauansichten nicht zum einfachen kriegsmäßigen Selbsthilfebau durchringen konnten.
Ist bei jeder klar geführten Planung einer Aufgabe ein Bauprogramm erforderlich, so erscheint es daher besonders wichtig, die allgemeinen und politischen und die technischen Forderungen für den Entwurf und die Ausführung des Behelfsheimbaues einmal herauszustellen.

Der Reichseinheitstyp und der Sondertyp
Nach der Art der Bauherstellung ergeben sich zwei Arten von Behelfsheimen: Behelfsheime aus allen und irgendwelchen örtlich vorhandenen Werkstoffen, die in Handarbeit und einzeln oder in kleinen Gruppen erstellt werden, und Behelfsheime aus serienmäßig in Werkstätten erstellten Bauteilen, die auf der Baustelle montiert werden (Montagebau). Es lag nahe, für die Bauteile der Behelfsbauten, zum wenigsten aber für die Bauteile der Montagebauten, Maße eines bestimmten Maßsystems vorzuschreiben, entweder die Maße des Ziegels (12 X 25 X 6,5 [14,2] cm), zuzüglich Fugendicke, oder die auf dem Meter sich aufbauenden Abmessungen der Bimsblocksteine (50 X 25 [20] X 22 cm) und der Bimsplatten (100 X 33V3 X 5 [6] cm) oder der Gipsplatten (200 X 50 X 5; 6 usw.] cm) oder der Holzwolleplatten (200 X 50 X 2,5 [3,5 usw.] cm) oder das für die Industriebauten entwickelte Industriemaß von 250 cm (hälftig 125 cm). Die Festlegung auf eine dieser drei Maßgruppen hätte dann notwendigerweise die zwei verbleibenden Maß- und Baustoffgruppen aus der Bauherstellung ausgeschaltet. Um aber alle irgendwie, greifbaren Baustoffe und Bauteile in den Herstellungsgang einzuschalten, verfügte Reichsminister Speer als Generalbevollmächtigter für die Regelung der Bauwirtschaft, daß alle Baustoffe und Bauteile in allen vorhandenen Abmessungen verwendet werden können, daß aber bei Neuentwicklungen von Bauteilen das halbe Industriemaß (125 cm) zugrunde zu legen sei, sofern nicht aus den Eigenschaften der Werkstoffe, den Konstruktionsbedingtheiten der Bauteile und den vorhandenen Betriebseinrichtungen die wirtschaftliche Fertigung im einzelnen Fall andere Maße erfordert. Ein Reichseinheitstyp mußte daher die Anwendung von Bau¬stoffen im Ziegelmaß, von Baustoff eh in den auf dem Meter sich aufbauenden Massen und auch von Baustoffen in den Abmessungen des Industriemaßes ermöglichen. Er mußte sich außerdem gleichermaßen für den mehr handwerklichen Bau aus örtlich vorhandenen Werkstoffen wie für den Montagebau eignen.
So entstand der Reichseinheitstyp  mit den Rauminnenmaßen 5,10 X 4,10 m. Für den Sonderfall, daß nur 125 cm breite Bauteile vorhanden sind, mußte der Reichseinheitstyp eine Ergänzung erfahren durch den Sondertyp 125 mit den Rauminnenmaßen 6,00 X 3,75 in, der jedoch die gleiche Grundrißeinteilung wie dieser besitzt. Der Reichseinheitstyp und der Sondertyp würden im Oktober 1943 vom Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft (Sachbearbeiter Professor - Saeger) und vom Reichswohnungskommissar als reichsverbindlich für die Durchführung des Behelfsheimbaues festgelegt und zugelassen. Beide Pläne sehen einheitlich ein Pultdach vor. An Stelle dieses Pultdaches kann ausnahmsweise ein Satteldach gewählt werden, wenn sich bei Montagebauweisen der Montagebau dadurch wesentlich vereinfacht oder wenn der Aufwand an kontingentierten Werkstoffen sich ermäßigt. Für Behelfsheime aus örtlich vorhandenen Baustoffen können ausnahmsweise Satteldächer für Eindeckung mit Dachziegeln, Zementfalzziegeln, Stroh oder Schilf in einzelnen Gauen zugelassen wer¬den, wenn der Mehraufwand an Holz gegenüber dem Pultdach vom Gebietsbeauftragten des, GB-Bau genehmigt, die , Eindeckungswerkstoffe gesichert vorhanden sind und Fachkräfte für die Eindeckung der Rüstung nicht entzogen werden. Der Regelfall ist das Pultdach, das in einfacher Weise hergestellt werden kann und das, über den Eingang vorkragend, einen Sitz- und Arbeitsplatz schützend überdeckt. Durch Umlegen des Fensters in der Kinderkammer, durch Umstellen der Betten oder durch die Wahl eines Klappbettes oder einer Liege oder einer ausziehbaren Liege im Wohnraum oder in der Kammer ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten einer wohnlichen Einrichtung . Zur besseren Raumausnützung in der Kinderkammer sind für Kinder auch Hängematten vorgeschlagen worden.
Durch die beiden Typen ist die Größe der Wohnung und die Grundrißgestaltung  der Wohnung festgelegt. Nur geringfügige Grundrißänderungen, die das Konstruktionsgefüge des Baues nicht ändern, sind zugelassen.
 

Nachdem durch die ständig zunehmenden  Bombenangriffe auf die Städte der Wohnraum immer knapper wurde, war die Schaffung von Ersatzwohnraum dringend notwendig geworden. Das Zauberwort war Behelfsheim. Um die Menschen in der sogenannten Heimatfront zu motivieren, wurden selbst Umbauten von Lauben als kriegswichtig deklariert und mit Endsiegsprüchen garniert.

Nachfolgend Auszüge aus :” Der Wohnungsbau in Deutschland” vom offiziellen Organ des Reichswohnungskommissars, Fachblatt der deutschen Akademie für Wohnungswesen e.V.

Baukarten
In einem Rundschreiben Nr. 55/1944 macht der Sonderbeauftragte des Reichswohnungskommissars für das Deutsche Wohnungshilfswerk darauf aufmerksam, daß einige Gaue unter Abweichung von den Vorschriften über die Raumgestaltung des Behelfsheimes für ein Doppelbehelfsheim drei Baukarten ausgeben und dafür die durchgehenden Dachgeschosse zu einer Wohnung ausbauen, oder daß zweigeschossige Doppelbehelfsheime errichtet und hierfür 4 Baukarten ausgegeben werden. Das Behelfsheim gilt bewußt als eine geschlossene Baueinheit und geht daher über den Begriff der Wohnung hinaus. In Übereinstimmung mit der Auffassung der Behörde des Reichswohnungskommissars erklärt Sonderbeauftragter Walter die Ausgabe von Baukarten in dieser Form für unzulässig und untersagt sie. Für jede ausgegebene Karte muß also ein Behelfsheim errichtet werden.

Und mit dabei die allgegenwärtige nie endend wollende Bürokratie.

Die elektrische Inneneinrichtung bei Behelfsheimen
Der Reichswohnungskommissar gibt soeben in einem Rundschreiben Richtlinien für die Inangriffnahme der elektrischen Inneneinrichtungen bei Behelfsheimen, die allgemein interessieren. Die elektrische Inneneinrichtung von Behelfsheimen des DWH darf nur ausgeführt werden, nachdem sichergestellt ist, daß auch der Stromversorgungsanschluß erfolgt. Ein Anrecht auf diesen Anschluß besteht für alle Heime, für die das Herrichten der Stromversorgungsleitungen zum Anschluß an das Netz der öffentlichen Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) mit den festgelegten Höchstmengen an Rohstoffen durchgeführt werden kann. Bei der Herstellung der Anlage ist auf beste Ausnutzung der Leitungen zu achten und der Verschnitt auf das kleinstmögliche Maß zu beschränken. Insbesondere ist bei der Verlegung von Falzrohr die Rohrlänge von 3,0 m bestmöglich aufzuteilen. Um Fachkräfte und Arbeitszeit beim Einbau an Ort und Stelle einzusparen, sind Fertigeinrichtungen für Rohrdraht - und Falzrohr - Leitungsanlagen entwickelt, die werkstattmäßig weitgehend vorbereitet sind. Alle Anlageteile müssen den geltenden Sicherheitsbestimmungen des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE) entsprechen. Der Spannungsabfall kann bis zu 20 vH der Netz - Nennspannung beim letzen Verbraucher betragen. Die EVU geben Auskunft, für welche Nennspannung die in den Heimen zu benutzenden Glühlampen jeweils zu wählen sind. Auftraggeber für die Ausführung der El-Inneneinrichtung ist i n allen Fällen der Bauherr, durch den auch die Bezahlung erfolgt. Beauftragt der Siedlungsträger (Bauherr), bzw. der für die Errichtung der Behelfsheime Verantwortliche den Elektro- Handwerker zugleich mit der Beantragung der Stromversorgungsanschlüsse beim zuständigen Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU), muß dieser dem Antrag folgende Unterlagen beifügen:

a)  Angabe der Zahl der Behelfsheime (Doppelheim zählt als 2 Heime)
        1. für die der Anschluß hergestellt werden soll,
        2. für die eine El-Einrichtung angefordert wird.

b)  Eine Bescheinigung des für den Bauort zuständigen Bürgermeisters
(in Berlin ist die Bescheinigung des Hauptplanungsamtes erforderlich),  daß es sich um ein genehmigtes Bauvorhaben von Behelfs¬heimen des Deutschen Wohnungshilfswerkes handelt.
 

c) Einen maßstäblichen Lageplan in dreifacher Ausführung, aus dem der  Standort der Behelfsheime,  Grundstücksgrenzen,  Straßen und Wege ersichtlich sind.
 

d) Angabe  über den  Stand  der Fertigstellung  und  den voraussichtlichen Bezugstermin der Behelfsheime.
 

Mit diesen Richtlinien ist eine der wesentlichen Fragen der Planung des Behelfsheimbaues geklärt worden.
 
Der Wohnungsbau in Deutschland, November 1944, Heft 21/22
 

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