Untersuchungsergebnis

Allgemein
Seit ca. zwei Jahren ist dem SBB bekannt, daß innerhalb des ehemaligen Lagergeländes verschiedene Schutzräume und Anlagen gebaut wurden. Fast alle Lagergebäude wurden mit Luftschutzräumen (Keller LSR) ausgestattet. Zusätzlich wurden drei Sonderbauwerke erstellt. Eines davon wurde gegen Jahresende freigelegt, ein zweites in der ersten Januarwoche 2005. Aus alten Unterlagen ging hervor, daß sich hier ein Deckungsgraben (DG) befinden müsste. Bei  der Befahrung der Anlage stellte sich wieder einmal heraus, daß zur damaligen Zeit Begriffsbestimmungen bzw. Bezeichnungen verschiedener Luftschutzanlagen verwechselt oder in Unkenntnis falsch angegeben wurden.

Es handelt sich bei dieser Luftschutzanlage lediglich um eine abgewandelte Art eines Deckungsgrabens. Ein wesentlicher Bestandteil eines echten DG ist die Gassicherheit, was bedeutet, daß Schleusen vorhanden sein müssen.  In dieser Anlage konnten keinerlei Hinweise auf Schleusen festgestellt werden. Somit hätte ein Gasschutz lediglich mit der persönlichen Schutzausrüstung erfolgen können
Das Querschnittsprofil und der Verlauf des Hauptflurs entsprechen eher einem militärischen gedecktem Schützengraben, als einem DG. Durch die Formgebung des Profils und der geringen Deckenstärke (Beton 18 cm) kann diese Anlage auch der Gruppe der  Splittergräben zugeordnet werden. Im zivilen Luftschutz wurde diese Anlagenart als Splittergraben oder Splitterschutzgraben bezeichnet.
Aber auch diese Bezeichnung ist wegen der drei abgehenden Räume nicht zutreffend.  Wegen der verschiedenartigen Baumerkmale kann diese Anlage weder als echter Splitterschutzgraben noch als echter Deckungsgraben  eingeordnet werden.
Wie bei den meisten, bisher gesichteten Bochumer Deckungsgräben üblich, wurden die Wände penibel gemauert. Aus diesem Grund wurde diese Anlage wahrscheinlich auch als Deckungsgraben geführt. Die vorgeschriebene Übererdung von max. 1 m wurde bereits bei der ersten Begehung des Geländes festgestellt..
Durch den Bau dieses Deckungsgrabens wurde der Luftschutz des Lagers "verbessert", weil die bereits vorhandenen Luftschutzkeller einen geringeren Durchschlagsschutz boten ggf. auch wegen erhöhter Lagerbelegung.

Bauwerk
Das Profil entspricht nicht dem von echten zivilen Splitterschutzgräben, sondern dem von militärischen Schützengräben. Die lichte Weite liegt durchschnittlich zwischen 1,44 m in Bodenhöhe und 1,76 m unterhalb der Decke. Die Raumhöhe beträgt heute durchschnittlich 1,88 m, so daß davon auszugehen ist, daß diese damals zwischen 1,90 m und 2,00 m lag. Normgerechte DG oder Kleindeckungsgräben (KDG) mußten entweder senkrechte Wände oder in Anlehnung an bergbauliche Bauweisen entsprechende Bergbauprofile (z.B. Ausbauweise Deutscher Türstock) haben.
* Anmerkung: Das Profil des Deutschen Türstockausbaus hat ist im First schmaler und am Grund breiter - die vorliegende Anlage ist im First breiter und am Grund schmaler.
Der Verlauf des DG ist nicht geradlinig mit vorschriftsmäßigen rechtwinkeligen Abknickungen angelegt, sondern verläuft mit  flachen Richtungsänderungen (ca. 110 Grad).
Die gesichtete Gesamtlänge beträgt incl. der abgehenden Räume 55 m. Die Decke besteht aus Beton mit querliegenden Eisenbahnschienen bzw. Doppel- T- Trägern. Die Deckenstärke liegt zwischen 16 und 20 cm. Die Wände sind mindestens einsteinig vollfugig gemauert. Genauere Untersuchungen der Wandstärke sind aus temporären Gründen bisher nicht erfolgt. Die Türen bestanden aus Holz.
Durch eine Verschüttung konnte der weitere Verlauf nicht ermittelt werden.
 
Bauzustand
Bei der ersten Begehung wurden kleinere Stalaktiten und Stalagmiten angetroffen.  Der Boden ist wahrscheinlich mit ca. 5 - 10 cm Schlamm bedeckt.
Die Wände sind vollfugig gemauert. An einigen Stellen sind die Wände durchfeuchtet. Der Mörtelzustand ist noch als verhältnismäßig gut zu bezeichnen. Auswaschungen des Mörtels sind nicht erkennbar. Es sind leichte Mauer- Beschädigungen durch statische und dynamische Belastungen erkennbar. Die Decke wurde im Rahmen der Baumaßnahme an 3 Stellen Beschädigt. Eine Reparatur ist mit geringem Aufwand möglich.
Form und Maße der Zugangstreppen können erst nach der Freilegung genau bestimmt werden.
Die ehemalige Übererdung wurde im Rahmen der Sanierungsmaßnahme abgetragen. Eine Verschüttung (Kies, Sand)  ist vorhanden.

Luftschutztechnische Ermittlung
Die Anlage war weder bombensicher noch befand sich hier ein Gasschutz.
Der DG ist lediglich als reiner Splitterschutz bzw. Trümmerschutz einzustufen.
Funktionelle Gasschleusen konnten nicht nachgewiesen werden. Ebenso konnten keine Merkmale einer künstlichen Belüftung oder eine Schutzluftanlage gesichtet werden. Im Falle eines Gasalarms hätte hier lediglich die persönliche Schutzausrüstung (Gasmaske) eingesetzt werden können.

Durch die Formgebung des Querschnittprofils bestand zwar ein besserer Schutz gegen Artilleriebeschuß (ballistische Kurve), nicht aber gegen fast senkrecht auftreffende Bomben. Solche Bauweisen waren nur an Frontlinien in Stellungskriegen sinnvoll. 
Der eigentliche Splitterschutz wurde durch die 1 m starke Übererdung und die Betondecke erreicht.
Die Nutzfläche des DG beträgt ca. 80 m². Bei einer durchschnittlichen lichten Höhe von 2 m ergibt sich ein Volumen von ca. 160 m³ was darauf schließen läßt, daß hier 100 bis 120 Personen ohne künstliche Belüftung kurzzeitig Schutz suchen konnten. Merkmale einer künstlichen Belüftung konnten bisher nicht nachgewiesen werden. 


Bewertung
Diese außergewöhnliche Luftschutzanlage ist ein weiterer greifbarer Beweis, daß im Luftschutzort Bochum alle Arten, Bauweisen und Baustärken des Luftschutzbau anzutreffen sind. Insbesondere zeigt diese Anlage, daß militärische Personen, Bauleiter oder Architekten auch für den zivilen Luftschutz abgestellt wurden (meist Invaliden die noch in der  Heimatfront eingesetzt wurden) und diese ihren militärischen Kenntnisstand in den Zivilbereich  einsetzten. Nur so ist es derzeit für  uns erklärbar, warum überhaupt stark mängelbehaftete Fehlkonstruktionen gebaut wurden. Auch daß verschiedene Bauvorschriften, Bauvorgaben und Normen in der Praxis wild durcheinander gemixt wurden und dadurch die Typenzuordnungen der Anlagen falsch angegeben/ gemeldet wurden kann daraus abgeleitet werden.
Aber auch ein Teil der Geschichte wird mit dieser Anlage weiter erhellt. Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar um einen eingeschränkten Schutz, dieser zeigt aber, daß verallgemeinerte Beweisführungen hinsichtlich der Frage ob Zwangsarbeiter überhaupt einen Schutzraum hatten oder hinein durften, nun durch Mehrfachbeweis vorhandener Bauwerke hinfällig ist. Dadurch, daß mitten in einem Lager solche Anlagen erbaut wurden, konnten auch nur die internierten Personen diese Anlage nutzen.
Die Anlage ist letztendlich entweder ein besonders schlechter, mangelhafter Deckungsgraben oder ein besonders guter, fein säuberlich ausgebauter Schützengraben mit untypischen abgehenden Räumen
Der SBB wird diese Anlage trotz verschiedener Widersprüche ebenfalls als DG in der Bestandsliste belassen.
Bochum, den 14.01.2005
Dipl.Ing. Michael Ide , Wilfried Maehler
 

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Deckungsgraben 2

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