1934 waren fast alle technischen Anforderungen und Möglichkeiten bekannt, die im Krieg auch tatsächlich angewandt wurden. Die Verbesserung der Flugzeuge wurde ständig vorangetrieben, ebenso wie deren Bewaffnung.

 

 

Neuzeitliche Kampfflugzeuge

Von Hauptmann im Generalstab a. D. Hans Ritter, Paris Vertreter des Reichsverbandes der Deutschen Luftfahrtindustrie in Paris
 

Die Rolle des Kampfflugzeuges in der Luftkriegführung ist bereits in dem Aufsatz ,,Neuzeitliche Bombenflugzeuge" gekennzeichnet worden: Abwehr der Luftkampfhandlungen des Gegners. Diese Aufgabe ist vom Kampfflugzeug sowohl im Rahmen des selbständigen Luftkrieges (Abwehr von Bombenangriffen) als auch als Hilfswaffe von Landmacht und Seemacht (Abwehr feindlicher Erkundung, Feuerleitung u. a. m.) zu lösen. Verschieden sind nur die im einzelnen Falle sich aus den allgemeinen operativen und taktischen Bedingungen sowie aus der Eigenart des zu bekämpfenden Flugzeugmusters ergebenden Kampfbedingungen.
 

Flugeigenschaften und Bewaffnung


Der sicherste Weg, feindliche Luftkampfhandlungen abzuwehren und zu unterbinden, ist offenbar der, ihren Träger, also das feindliche Flugzeug, zu zerstören. Das Mittel hierzu ist bei dem heutigen Stand der Entwicklung der Flugzeugbewaffnung so gut wie ausschließlich die Wirkung der in das Kampfflugzeug eingebauten Feuerwaffe. Für den Entwurf eines Kampfflugzeuges ist also die vornehmste Grundlage die militärische Forderung einer für den Einzelfall als erforderlich betrachteten Waffenwirkung, für die das Flugzeug selbst ja nur Ausgangspunkt ist. Da aber die Wirkung im Ziel nicht nur von der absoluten Leistung der verwendeten Waffe allein abhängt, sondern fast ebensosehr von der rechtzeitigen, am richtigen Platz (aus der günstigsten Angriffsstellung heraus) und unter möglichster Erschwerung der Feuerabwehr des Gegners entwickelten Waffenwirkung, so spielen auch die Eigenschaften des Trägers der Waffe eine durchaus nicht untergeordnete Rolle.
Zu nennen sind hier Höchstgeschwindigkeit, Geschwindigkeitsspanne (Verhältnis zwischen Größt- und Kleinstgeschwindigkeit), Steiggeschwindigkeit und — für nahe Gefechtsentfernungen — Wendigkeit, schließlich für das Schießen mit starr eingebauten Waffen Steuerbarkeit und ruhige Lage in der Luft. Technisch bedeutet dies die Forderung möglichst hoher Motorleistung und kleinster Leistungsbelastung (kg/PS), während die Frage der Flächenbelastung vom Gesichtspunkt hoher Geschwindigkeit einerseits, guter Steigleistungen und Wendigkeit anderseits verschieden zu beurteilen ist. Im allgemeinen ertragen leichte Kampfflugzeuge mit ihrem geringen Gewicht höhere Flächenbelastungen als schwere Kampfflugzeuge. Um eine große Geschwindigkeitsspanne zu erreichen, ist die Anordnung von Spaltflügeln zweckmäßig; diese beeinträchtigen aber bei leichten Kampfflugzeugen in gewisser Hinsicht die Wendigkeit, so daß sie sich bisher nur an einzelnen Versuchsmustern finden.
Bei der Wahl der Feuerwaffe ist in erster Linie zu unterscheiden, ob man sich mit der Wirkung des Vollgeschosses begnügen will oder ob man die Verwendung von Sprengmunition als notwendig erachtet. Die Widerstandsfähigkeit und Größe des zu bekämpfenden Ziels (großes Bomben- oder kleines, mit anderen Truppenteilen zusammen arbeitendes „Arbeitsflugzeug") sind hier für die Entscheidung ausschlaggebend. Die kleinkalibrige Waffe mit Vollgeschoß und ausreichender Munition ist verhältnismäßig leicht, so daß das Kampfflugzeug klein und leicht gehalten werden kann. Soll dagegen die Bordkanone verwendet werden, und will man vor allem genügend Munition für sie mitnehmen, so erhält man durch ihr wesentlich höheres Gewicht notwendigerweise auch ein schwereres und größeres Kampfflugzeug.

Flugweite
Von wesentlicher Bedeutung sind auch die taktischen Bedingtheiten, unter denen sich die Bekämpfung des Gegners vollziehen muß. Hier steht an erster Stelle die Frage nach der Schwierigkeit und Wahrscheinlichkeit einer Gefechtsberührung. Je größer die Räume sind, über die sich die Tätigkeit des Gegners erstreckt, und je höher die obere Grenze der hierbei von ihm benutzbaren Flughöhen liegt, um so seltener wird es gelingen, die Gefechtsberührung zwischen dem Kampfflugzeug und seinem Gegner überhaupt herzustellen. Man muß also unter solchen Verhältnissen fordern, daß eine endlich einmal hergestellte Gefechtsberührung so lange wie möglich aufrecht erhalten werden kann; denn mit der Länge des Luftkampfes wächst naturgemäß für das Kampfflugzeug die Aussicht, dem einmal gefaßten Gegner möglichst schweren Abbruch zu tun. Im selbständigen Luftkrieg, für den diese Verhältnisse zutreffen, muß man daher von dem Kampfflugzeug eine große Flugweite, also eine Flugdauer von mindestens 4 bis 6 h, verlangen.

Für ein Flugzeug, das im Rahmen der Kampfhandlungen auf der Erde oder auf dem Wasser die Lufttätigkeit des Gegners zu unterbinden hat, sind die Voraussetzungen für ein Zustandekommen der Gefechtsberührung wesentlich günstiger, denn die Lufträume, in denen der Gegner arbeiten muß, sind hier durch die Anwesenheit der eigenen Streitkräfte auf der Erde und auf dem Wasser sehr viel genauer, manchmal geradezu eindeutig bestimmt, gegenüber den Verhältnissen des selbständigen Luftkrieges, wo der Gegner seine Tätigkeit gegen eine mehr oder weniger große Zahl räumlich weit voneinander getrennter Angriffsgegenstände unberechenbar ausüben kann. Als Hilfswaffe für Landmacht und Seemacht braucht daher das Kampfflugzeug nur einen wesentlich kleineren Flugbereich als im Rahmen der selbständigen Luftkriegführung. Die verschieden hohe Forderung auf diesem Gebiet zwingt ebenfalls zur Wahl sehr verschiedener Flugzeuggrößen und damit Flugzeuggewichte.

Flughöhe
Maßgebend sind weiterhin natürlich auch die Flugleistungen des zu bekämpfenden Feindflugzeuges, die durch die Leistungen des Kampfflugzeuges nach Möglichkeit übertroffen werden müssen. Im selbständigen Luftkrieg muß man heute mit Höchstgeschwindigkeiten in 4 bis 5 km Flughöhe von 300 km/h und mehr und mit Arbeitshöhen bei Tage von 8 bis 10 km rechnen. Im Rahmen des Land- und Seekrieges werden wohl noch schnellere Flugzeuge auftreten, die an sich wohl auch Flughöhen von 10km und mehr einhalten, diese aber bei der Eigenart ihrer Aufgabe (Beobachtung und Unterscheidung von Einzelheiten) in der Regel gar nicht ausnutzen können. Hier ist die obere Grenze wohl mit 7 bis 8 km anzunehmen. Das .leichte Kampfflugzeug als Hilfswaffe von Landmacht und Seemacht braucht daher wohl selten Höhen von über 8 km aufzusuchen und sich in ihnen auch nur kürzere Zeit aufzuhalten; ein besonderer „Höhenschutz" (Führerraum und Gefechtsstand beheizt, Druck und Sauerstoffgehalt der Atemluft der jeweiligen Flughöhe angepaßt, daher Druckkammern ähnlich denen der Stratosphärenflugzeuge) ist daher nicht erforderlich; die Maschine kann klein und leicht gehalten werden. Im Gegensatz dazu muß das schwere Kampfflugzeug der unabhängigen Luftkriegführung diesen Höhenschutz besitzen, welch letztere Forderung sich wiederum in einer Vergrößerung der Abmessungen und Gewichte auswirken muß.
Es sind also zwei völlig verschiedene Muster von Kampfflugzeugen zu unterscheiden: auf der einen Seite ein möglichst leichtes, kleines, bewegliches Flugzeug mit einem Insassen, bei dem man sich mit einer praktischen Gipfelhöhe von 8 km (der eine absolute Gipfelhöhe von etwa 10 km entsprechen wird) und einer Flugdauer von etwa 2 h begnügen kann, und das eine Höchstgeschwindigkeit in Gebrauchshöhe von heute etwa 400km/h nebst größter Steiggeschwindigkeit besitzen soll. Dem steht gegenüber das schwere Kampfflugzeug, das Arbeitshöhen von 10km und mehr einhalten und daher Höhenschutz besitzen muß, und dessen Flugdauer mindestens 4, besser 6 h betragen soll. Seine Fluggeschwindigkeit in Gebrauchshöhe (8 bis 10km) sollte heute möglichst bei 350km/h liegen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Motorleistung, die in Ansehung eines Mindestfluggewichts von etwa 4 bis 51 von einem einzelnen Motor heutiger Bauart nicht mehr aufgebracht werden kann. Das schwere Kampfflugzeug ist daher mehrmotorig zu entwerfen, wenn möglich als zweimotoriges Kanzelflugzeug, das besonders gute Voraussetzungen für den Einbau einer Angriffswaffe in der Rumpfnase bietet.
Waffeneinbau
Beim kleinen Kampfflugzeug ist das geringe Fluggewicht maßgebend; es wird daher fast immer einsitzig entworfen werden ohne Rücksicht auf das Kaliber seiner Angriffswaffe, die starr eingebaut werden wird. Beim schweren Kampfflugzeug dagegen spielt die Kopfzahl der Besatzung anteilsmäßig eine untergeordnete Rolle. Anderseits kann es bei seiner Größe und bei seinem unterteilten Triebwerk kaum die Steuerbarkeit und Wendigkeit besitzen, die den starren Einbau einer Waffe ermöglichen würde, bei dem das ganze Flugzeug so zu handhaben sein muß, wie der Schaft eines Gewehres in der Hand eines Schützen. Für große Flughöhen mit ihren dünnen Luftschichten gilt diese Feststellung in noch verstärktem Maße. Für das schwere Kampfflugzeug erscheint daher als zweckmäßigste Art des Waffeneinbaues der bewegliche Einbau in der Rumpfnase. Um einen Feuerkampf schon auf größere Entfernungen mit dieser beweglichen Waffe führen zu können, muß man die hierfür erforderlichen Richtmittel und Meßgeräte vor schweren Kampfflugzeugen noch keineswegs der Fall ist. Man könnte überhaupt darüber streiten, ob dieses Muster, über dessen theoretische Notwendigkeit kein Zweifel besteht, überhaupt schon erzeugt worden ist. Eigentlich hat nur Frankreich allein bis jetzt mehrsitzige Flugzeuge hoher Leistungen entwickelt, die aber nicht ausgesprochen für die oben geschilderten Aufgaben des selbständigen Luftkrieges allein, sondern als sogenannte „Mehrzwecke-Flugzeuge" entwickelt wurden, und deren bauliche Grundlinien dadurch etwas verschwommen gestaltet wurden. Immerhin kann man sie heute als Vorläufer des schweren Kampfflugzeuges bezeichnen, dessen wesentliche Eigenschaften sie indessen durchaus nicht alle besitzen.

Dazu ist zu sagen, daß alle hier aufgeführten Flugzeuge das Streben nach größter und geschlossener Feuerwirkung nach allen Seiten aufweisen, also vornehmlich eine für die Abwehr, aber nicht für den Angriff besonders wertvolle Eigenschaft besitzen. Dies erklärt sich aus der bereits erwähnten nicht eindeutigen Aufgabenstellung für ihren Entwurf. Da sie sowohl als Kampfflugzeuge als auch als Bombenflugzeuge Verwendung finden sollen, benötigen sie Angriffskraft und Verteidigungskraft, müssen also Ausgleichlösungen sein.
Interessant ist in jedem einzelnen Falle die technische Art der Lösung, diese geschlossene Feuerabwehr nach allen Richtungen hin sicherzustellen. Das Angriffsfeuer nach vorn übernimmt durchweg die Bordwaffe in der Rumpfkanzel. Damit aber ein möglichst lückenloses Abwehrfeuer nach rückwärts und unten gewährleistet ist, hat man entweder eine besondere Rumpfgondel an die Unterseite angebaut, oder die rückwärtigen Gefechtsstände außerhalb des Rumpfes, oder wenigstens an dessen Außenseite, angeordnet. Weiter hat man zwei Rümpfe vorgesehen, zwischen denen der Schütze im rückwärtigen Ende der Rumpfgondel hindurchfeuern kann,. Die verhältnismäßig einfachste Lösung ist die, den rückwärtigen Rumpfteil mit möglichst geringem Querschnitt auszubilden und dadurch die durch ihn bewirkte Schußbehinderung auf ein Mindestmaß herabzusetzen. An dieser Maschine, die der neuzeitlichste Vertreter der französischen Großkampfflugzeuge ist, muß auch die in Anbetracht der hohen Geschwindigkeit notwendige Verkleidung der Gefechtsstände besonders hervorgehoben werden.

Quelle: VDI - Zeitschrift, Band 78 Nr. 15, vom 14.4.1934, S. 455 - 458

 

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